23. März 2001

TIBET INFORMATION NETWORK

City Cloisters, 188-196 Old Street, London EC1V9FR,
ph: +44(0)207 814 9011, fax +44(0)207 814 9015, e-mail: tin@tibetinfo.net, www. tibetinfo.net

Eine Farce: Mönche durch Schmiergelder zur Teilnahme an offiziellen Feiern bewogen -

verschärfte Sicherheitsvorkehrungen am 10. März

Die Staatsorgane in Lhasa erhöhten die Sicherheitsmaßnahmen, um am 10. März, dem wichtigen politischen Jahrestag des Volksaufstandes von 1959, Äußerungen von Dissens vorzubeugen und die Feier wichtiger religiöser Feste wie Losar (tibetisches Neujahr) unter Kontrolle zu halten. Es heißt, eine größere Zahl von Sicherheitskräften sei in den Tagen vor dem 10. März um die Hauptklöster und Tempel in der Stadt herum stationiert worden. Die Behörden hätten auch einige Tage zuvor ehemalige politische Gefangene und deren Verwandte bei einer speziellen Veranstaltung vor der Beteiligung an gegen den Staat gerichteten Aktivitäten gewarnt.

Regierungsangestellten, Kadern und Schülern in Lhasa wurde anheimgelegt, zur Feier des tibetischen Neujahres (das dieses Jahr am 24. Februar begann) zu Hause zu bleiben. Man untersagte ihnen, Gebetsfeste in den Klöstern zu besuchen oder in Klöstern und Tempeln zu opfern. Trotz der scharfen Sicherheitsmaßnahmen brachten viele Pilger und andere Tibeter dennoch während dieser Tage Opfergaben in den Haupttempeln der tibetischen Hauptstadt dar.

Schwere Restriktionen gab es auch am Tag vor dem Gedenken des Volksaufstandes, der dieses Jahr mit einem wichtigen buddhistischen Fest zusammenfiel, in den Klöstern in und um Lhasa. Am 9. März, dem 15. Tag der tibetischen Neujahrfeiern, der Buddhas friedliche Überwindung von Ungerechtigkeit und Unwissenheit bezeichnet, durften die Mönche ihre Klöster nicht verlassen und in die Stadt gehen. Die Stadtverwaltung lockte die Mönche von Drepung auch mit Geldgeschenken, um sie zur Teilnahme an den streng kontrollierten offiziellen Feiern des Monlam Chenmo (Großes Gebetsfest) zu bewegen. In den letzten Jahren wurde keine volle öffentliche Begehung dieses Festes, das von großer symbolischer Bedeutung für die tibetischen Buddhisten ist, mehr gestattet, nachdem es Ende der 80-er Jahre in der Zeit der großen Demonstrationen verschiedene Widerstandsakte von Mönchen gegeben hatte und viele Mönche und Nonnen durch Boykott des Festes gegen die Verhaftung von politischen Aktivisten aufbegehrten. Ein jetzt im Exil lebender Tibeter aus Lhasa meinte TIN gegenüber: "Seit es verboten wurde, das Monlam Fest in traditioneller Weise zu begehen, findet es nun nur noch dem Namen nach statt, eingeengt von lauter vom Staat festgelegten Verhaltensregen, die nichts mit dem Geist der Monlam Gebete zu tun haben. Es ist zu einer Art Farce ohne inneren Gehalt geworden."

Die Religionsbehörde der Autonomen Region Tibet schickte ihre Vertreter in die drei Hauptklöster Sera, Ganden und Drepung, um zu bestimmen, daß jedes Kloster für die Durchführung rein religiöser Feiern verantwortlich sei, sowie dafür, daß niemand während der Monlam Chenmo Festzeit das Kloster verlassen oder betreten dürfe. Dieses seit Jahrhunderten wahrgenommene, religiös und politisch bedeutsame Fest der Tibeter erinnert daran, wie sich der Staat der Autorität der Religion beugte, und wurde früher im Jokhang unter der Beteiligung von Mönchen/Nonnen aus Ganden, Sera, Drepung sowie aus anderen Klöstern gefeiert.

Dieses Jahr war in den drei Hauptklöstern keine andere Form der religiösen Aktivität gestattet als die von der Regierung spezifizierte. Einem Tibeter zufolge, der kürzlich aus Lhasa im Exil eintraf, "werden im Falle einer Verletzung dieser Verordnungen Ermittlungen eingeleitet, um die Schuldigen ausfindig zu machen und Strafen gemäß dem Gesetz erteilt". Ein anderer Tibeter aus Lhasa, der jetzt im Westen lebt, kommentierte inbezug auf die 500 Yuan ($60), die, wie man hörte, den Drepung Mönchen von der Regierung geboten wurden, um ihre Teilnahme an den offiziellen Feiern sicherzustellen: "Die Leute von Lhasa dürfen Mönchen und ihren Klöstern keine großen Geldspenden geben, so nehmen die Chinesen mit der einen Hand und geben mit der anderen. Diese 500 Yuan zeigen, daß die Behörden nicht nur mit ihrer Politik die Peitsche schwingen, sondern auch Zuckerbrot reichen, wenn es ihnen paßt".

Ein Artikel in Tibet Daily vom 15. Februar bestätigt, daß den Mönchen in Drepung, Ganden, Sera und dem Jokhang Tempel (auch den im Ruhestand befindlichen) Geldscheine von 300 Yuan ($36) ausgehändigt wurden. Lobsang Dhondrub, ein stellv. Vorsitzender der Autonomen Region Tibet, soll dieser Zeitung zufolge am 13. und 14. Februar die Klöster besucht haben und "jeder Person ein Geschenk von 300 Yuan gereicht haben... so daß bei diesen Besuchen insgesamt 110.00 Yuan ($13.305) als Geldgeschenke an über 1.900 Mönche/Nonnen verteilt wurden".

Ehemalige politische Gefangene eingehend verwarnt

Vertreter der Stadtverwaltung von Lhasa, von der Justizbehörde der TAR und Gefängniskader in Lhasa beriefen fünf Tage vor dem 10. März eine Versammlung ein, zu der ehemalige politische Gefangene und deren Verwandte erscheinen mußten. Politische Ex-Häftlinge sehen sich in ihrem täglichen Leben besonders intensiver Überwachung ausgesetzt und vor bedeutenden politischen Jahrestagen in Lhasa werden sie oftmals zusätzlich mit Fragen und Drohungen belästigt. Eine offizielle Versammlung von politischen Gefangenen und deren Angehörigen ist jedoch ungewöhnlich und zeigt, wie sehr der Staat darauf bedacht war, dieses Jahr am 10. März jeden Ausdruck von Dissens unmöglich zu machen. Ein inoffizieller, TIN zugegangener Bericht besagt, nicht alle geladenen ehemaligen politischen Gefangenen seien gekommen. Die Offiziellen hätten auch die ehemaligen politischen Gefangenen davor gewarnt, ausländische Radiosendungen abzuhören, und ihnen vorgeworfen, sie würden nicht regelmäßig an den ideologischen Erziehungen teilnehmen. Diese Quelle meinte: "Die Kader mahnten ehemalige politische Häftlinge, sie sollten sich nun gemäß der vorzüglichen Politik der Partei und den neuen Umständen fest vornehmen, der Gesellschaft zu dienen statt ihr zu schaden. Sie hätten allen gegen den Staat gerichteten Aktivitäten fest entgegenzutreten".

Widerstand gegen die Herrschaft der Partei über Tibet äußert sich nicht nur in offenen politischen Protesten. Heutzutage kann in Tibet auch die Darbringung einer religiösen Opfergabe in der Öffentlichkeit während eines brisanten Jahrestages oder das Nichterscheinen bei einer politischen Veranstaltung eine Bekundung von Dissens bedeuten.

nach oben